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Fachtag „Radikalisierungsprävention bei Jugendlichen“
12. Dezember 2017
Immer wieder stehen wir vor der Frage, wieso werden junge Menschen radikal? Warum wenden sie sich extremistischen Gruppierungen zu?
Diesen wichtigen Fragen widmete sich am 12. Dezember 2017 der Fachtag „Radikalisierungsprävention bei Jugendlichen“, der vom Kompetenzzentrum zur Koordinierung des Präventionsnetzwerks gegen Extremismus in Baden-Württemberg (KPEBW) im Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration, vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg und vom Demokratiezentrum Baden-Württemberg ausgerichtet wurde.
„Wir müssen gemeinsam, im Schulterschluss mit allen wichtigen Akteuren, Handlungs- und Entscheidungsoptionen anbieten und dafür sorgen, dass die rettende Hand ausgestreckt bleibt“, sagte der Stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Baden-Württembergs, Thomas Strobl, anlässlich des Expertenforums im Innenministerium.
Mehr als 200 Experten aus dem ganzen Land konnten sich bei der Veranstaltung in mehreren Fachvorträgen informieren und an Diskussionen beteiligen.
In seinem Grußwort stellte der Landeskriminaldirektor der Polizei Baden-Württemberg, Klaus Ziwey, die realen Gefahren von Radikalisierung für die Rechts- und damit die Gesellschaftsordnung in den Vordergrund und hob die damit zusammenhängende Notwendigkeit von Präventionsarbeit deutlich hervor. „Jeden, den wir gegen Extremismus immunisieren, egal welcher Spielart und ideologischen Richtung, ist ein Gewinn. Und zudem eine Entlastung für unsere Sicherheitsbehörden. Mir ist dabei besonders wichtig, dass das KPEBW seine Aufgabe im engen Schulterschluss mit dem Kultusministerium Baden-Württemberg, dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg und allen weiteren Partnern angeht“, betonte der Landeskriminaldirektor.
Seitens des Kultusministeriums wurde auf die Bedeutung von Radikalisierungsprävention für Schulen hingewiesen. Es gehe in der Schule darum, Prozesse der Radikalisierung möglichst frühzeitig zu erkennen, Hilfe und Orientierung zu geben oder zu vermitteln sowie auf Gefahren aufmerksam zu machen und diese zu vermeiden. Gezielte Fortbildungsangebote wie dieser Fachtag sowie weitere Angebote wie die Publikation „Jugendliche im Fokus salafistischer Propaganda“ und das Extremismusportal www.extremismus-praevention-schule-bw.de des Kultusministeriums bieten den Schulen hierfür wichtige Unterstützung.
Professor Dr. Dr. Jan Ilhan Kizilhan brachte in seinen Vortrag seine praktischen Erfahrungen ein, die er unter anderem aus seiner direkten Arbeit als medizinisch therapeutischer Leiter des Projekts der Landesregierung Baden-Württemberg „Sonderkontingent schutzbedürftiger Frauen und Kinder aus dem Nordirak“ mit traumatisierten Menschen aus den Kriegsgebieten erworben hatte. Sehr aufschlussreich waren seine persönlichen Erfahrungen aus Interviews von Angehörigen der islamistischen Terrororganisation IS, bei denen er Täter und Opfer gleichermaßen beriet. Auf besonderes Interesse stieß sein Bericht über die Beratung und Betreuung von zahlreichen Jugendlichen, die der Terrororganisation IS angehörten, diese verlassen wollten und deshalb, wie auch ihre Familien, mit dem Tod bedroht wurden.
Herr Regierungsrat Christian Gerber des Kultusministeriums stellte in seinem Vortrag zu Verfassungs- und schulrechtlichen Grundlagen Sachverhalte dar, mit denen Lehrkräfte im schulischen Kontext konfrontiert werden, beispielsweise das Besuchen des Unterrichts mit Vollverschleierung. Den Vortrag im PDF-Format zum Download finden Sie hier.
Asiye Sari-Turan, wissenschaftliche Referentin des Landesbildungszentrums
Deradikalisierung (LBZ Derad) des KPEBW, stellte diese neue Einrichtung des Landes und die von nun an zielgruppenspezifisch ausgerichteten Weiterbildungsangebote für Fachkräfte, wie beispielsweise Polizeibeamte oder Schulpsychologinnen und Schulpsychologen, vor. Mit dem LBZ Derad wurde unter dem Dach des KPEBW eine Aus- und Fortbildungsstätte im Bereich der Extremismusprävention für Baden-Württemberg geschaffen, die in dieser Form bundesweit einzigartig ist und einen Fortschritt für die deutsche Präventionslandschaft darstellt. Den Vortrag im PDF-Format zum Download finden Sie hier.
Aaron Kunze vom Landesamt für Verfassungsschutz informierte über die Anziehungskraft des Salafismus für Jugendliche. Hierbei wies er besonders auf die perfide Strategie hin, Jugendliche, die sich gerade in einer Sinnkrise befinden, über vermeintlich einfache Antworten zu ködern. Die Nachfrage, warum Frauen sich radikalisieren und an wen sich Rückkehrerinnen wenden können, beantwortete er mit idealistischen Aspekten der Frauen. Junge Frauen müssen ebenso wie junge Männer eine eigene Identität finden. Hinzu kommt die durch den IS glorifizierte Tatsache einen Gotteskrieger heiraten und damit aus dem Elternhaus ausbrechen zu können. Sollten die Frauen nach ihrer Rückkehr freiwillig Hilfe suchen, steht die Beratungsstelle Baden-Württemberg im Bereich des politisch motivierten Extremismus unter der Telefonnummer 0711-72230893 zur Verfügung.
Mit dem Präventionsprojekt „ACHTUNG?!“ des Polizeipräsidiums Ludwigsburg stellten Polizeihauptkommissarin Andrea Glück und Sandra Hehrlein (Theater Q-rage) einen aktuellen Ansatz der Sekundärprävention vor, der eine große Vielschichtigkeit an Vermittlungsansätzen in einem Projekt vereint. Mit einer Kombination aus Theaterpädagogik, Diskussionsrunden für Schülerinnen und Schüler, Ausstellungen und Elternabenden wirkt dieses Projekt bereits seit zwei Jahren an Schulen in den Landkreisen Ludwigsburg und Böblingen extremistischen Bestrebungen wirksam entgegen.
Der Fachtag unterstrich zusätzlich auch die Bedeutung des kooperativen Zusammenwirkens aller Akteure, sich mit ihrer jeweiligen Fachkompetenz am Diskurs um innovative Ansätze zu beteiligen und die Notwendigkeit Ressourcen und Wissen zu bündeln, um das gemeinsame Ziel einer möglichst effektiven Radikalisierungsprävention für Jugendliche weiter zu fördern. Die Veranstaltung wurde mit positivem Feedback evaluiert. Die gesamte Evaluation finden Sie hier.